Wirtschaftskrise und Stagflation 1974
Ausgehend von hohen Wachstumsraten und hoher Beschäftigung kam es in der Bundesrepublik Deutschland 1974 zu einer hohen Inflation bei niedrigen bzw. negativen Wachstumsraten und gleichzeitig starken Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die Inflationsrate stieg im Jahresverlauf 1974 auf über 7,0 Prozent und die Arbeitslosenquote auf 2,6 Prozent bei einem Wirtschaftswachstum von Null Prozent. Es ist die bis dahin schwerste Nachkriegs-Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Begriff der Stagflation - eine Zusammensetzung der Begriffe Stagnation und Inflation – macht die Runde.
Expansive Geldpolitik der USA und massive Devisenzuflüsse in die BRD
Die USA betreiben seit Beginn der 1970er Jahre eine expansive Geldpolitik, um die durch die Finanzierung des Vietnamkriegs entstandenen Haushaltsdefizite auszugleichen Dies führte in der Folge zu einer Schwächung des Dollars verbunden mit erheblichen Währungsturbulenzen, welches in den Zusammenbruch des Systems stabiler Wechselkurse (Bretton-Woods-System) mündete. Die damit verbunden massiven Devisenzuflüsse lösten ein Ungleichgewicht in der bundesdeutschen Zahlungsbilanz aus und führten zu einem Anstieg der Inflationsrate. Aufgrund der Aufwertung der DM werden die bundesdeutschen Exporte verteuert, was zu einem Exportrückgang und damit zu einer geringeren Auslastung der Produktionsanlagen führt. Infolge werden Arbeitskräfte freigesetzt.
Ölkrise: Lieferboykott der OPEC gegen westliche Staaten
Durch die Liefersperren, Drosselung der Förderung und massive Preiserhöhungen der OPEC taumelt Westdeutschland 1973 in eine Energiekrise. Die durch die Ölkrise bedingte Verteuerung des Erdöls beschleunigt den Preisaufschwung. Zudem führt die Ölknappheit zu einem Produktionsrückgang verbunden mit Kurzarbeit und Entlassungen in der Autoindustrie, im Baugewerbe und in der Textil- und Bekleidungsindustrie.
Hohe Tarifabschlüsse und übersteigerte Lohnzuwächse
Die Gewerkschaften konnten 1973 Forderungen von über 12% Lohnzuwachs durchsetzen. Nach Arbeitskämpfen und Streiks unter anderem im öffentlichen Dienst steigen die Bruttolöhne 1974 nochmals um 11,4%. Diese hohen Lohnzuwächse bedingen einen Preisauftrieb und es folgen Kostenreduktionen und Stellenabbau in den Betrieben.
Technologischen Entwicklung und Rationalisierungsprozess
Der Zuwachs der Produktivität der eingesetzten Produktionsanlagen führt zu einem Rationalisierungsprozess in den Unternehmen und zum massiven Abbau von Arbeitsplätzen.
Restriktive Geld- und Fiskalpolitik in der BRD seit 1973
Zur Bekämpfung der Inflation wurde seit 1973 von der Bundesbank eine restriktive und stabilitätsorientierte Geldpolitik propagiert. (u.a. durch Erhöhung des Diskont- und Lombardsatzes um zwei Prozentpunkte). Flankierend wurden 1973 von der Bundesregierung Steuererhöhungen (Mineralölsteuer, Einkommens- und Körperschaftssteuer, Investitionssteuer) beschlossen, um die Kaufkraft der privaten Haushalte und Unternehmen zu mindern und damit den Preisanstieg zu bremsen. Beide Maßnahmen führten zu einer Verringerung der inländischen Güternachfrage und damit zu weiteren Druck auf dem Arbeitsmarkt.
Konsumrückgang der privaten Haushalte
Die durch die Ölkrise entstandenen notwendigen Mehrausgaben für Energie führen beim Verbraucher zu einer sinkenden Nachfrage in anderen Bereichen. Die trüben Konjunkturaussichten und die Angst vor eine Krise verunsichern zudem Händler als auch Käufer. Der Glaube an die Steuerbarkeit des Wirtschaftsgeschehens schwindet ebenso wie der Glaube an eine uneingeschränkte Machbarkeit und eine technokratische Zukunftsplanung. Statt weiter zu konsumieren treffen die privaten Haushalte lieber Vorkehrungen für den Notfall. Zumal die dringendsten Konsumwünsche 1974 befriedigt sind: Eine Statistik belegt, dass 95% der bundesdeutschen Arbeiterhaushalte einen Kühlschrank besitzen, 93% einen Staubsauger, 92% ein Fernsehgerät, 87% eine Waschmaschine und 66% ein Auto. Die Deutschen legen so trotz steigender Preise 1974 wieder mehr Geld auf die hohe Kante. Allein im zweiten Quartal 1974 steigt die Sparquote um knapp 20%.
WIRTSCHAFTSPOLITISCHE KEHRTWENDE 1974
Die neue Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt vollzieht 1974 eine wirtschaftspolitische Kehrtwende. Sie wendet sich ab von der bestehenden restriktiven Politik hin zu einem Konjunkturstützungsprogramm zur Belebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Angelehnt an die Theorien des Ökonomen John Maynard Keynes sollen die Staatsausgaben für öffentliche Projekte erhöht werden und so die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und der private Verbrauch stimuliert werden. Der Preis einer steigenden Staatsverschuldung wird dabei in Kauf genommen.
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